Geb. 1966
Roland Krüger
Die einen steigen auf den Mount Everest, die anderen gehen zum
Sondereinsatzkommando.
Sein Gesicht verschwand hinter einer schwarzen Maske. Was er leistete
und welches Risiko er dabei einging, wussten nur seine Freunde und
Kollegen. Erst der Tod durchbrach die Anonymität des Elitepolizisten
Roland Krüger. Er war der erste Berliner SEK-Polizist, der im Einsatz
erschossen wurde.
Roland Krüger war der „Schildführer“ in seinem Team. Wenn eine
Wohnung gestürmt wurde, ging er voran und hielt einen 14 Kilo
schweren Schutzpanzer vor seinen Körper. Er hatte die nötige Körpermasse
und die Kraft, diesen Schild zu halten und trotzdem beweglich und
reaktionsschnell zu bleiben. Darin bestand sein Geheimnis: Die Körperspannung
im entscheidenden Moment bis zur Belastungsgrenze hochfahren. Und
gleichzeitig Ruhe bewahren. Roland Krüger, aufgrund seines
beeindruckenden Körperumfangs auch „Bulette“ oder „Dicker“
genannt, war quasi unprovozierbar. Nicht mal Vorfahrtnehmer und
Ampelschläfer brachten mehr aus ihm heraus als ein gedehntes „Was
macht der denn da?“. Er konnte unnachahmlich leise und langsam
fluchen.
Ein Schildführer beim SEK hat die Aufgabe, den Weg zum
„Zielobjekt“ freizuräumen. Dabei sollen Umwege möglichst
vermieden werden. Er muss erspüren, in welchem Zimmer sich der Gegner
aufhält. Roland hatte dafür eine besondere Antenne entwickelt. Dass
er als Sturmspitze ein hohes Risiko einging, war ihm bewusst.
SEK-Leute denken über so etwas nicht lange nach. Für dieses Leben im
Risiko haben sie schließlich jahrelang trainiert und viele Tests
bestanden. Elitepolizisten sind wie Extremsportler: Die einen steigen
auf den Mount Everest, die anderen gehen zum SEK. Den Erfolgskick
brauchen sie alle. Und die Aura, etwas Besonderes zu sein.
Wenn etwas auf dem Spiel stand, im Polizeieinsatz oder beim Fußball,
kämpfte Roland mit vollem Einsatz. Er wusste, dass er gut war, wollte
es aber auch von anderen hören. Damit konnten sie ihn aufziehen.
„Hast wieder sensationell gespielt, Bulette.“ Der Ton beim SEK ist
rau. Gleichzeitig gibt es eine große Nähe in den einzelnen Teams,
die immer gemeinsam agieren. Jeder muss sich auf den anderen verlassen
können. Im 24-Stunden-Dienst sind die Männer ständig zusammen,
trainieren, gehen auf Lehrgänge und fahren ihre Einsätze.
Roland war nicht nur der Schildführer, er war auch der Hundeflüsterer
in seiner Gruppe. Schwerkriminelle haben gerne eine zähnefletschende
Kampfmaschine im Vorzimmer. Um an ihr vorbeizukommen, gibt es nur zwei
Möglichkeiten. Roland zog nicht die Waffe, sondern redete auf die
Hunde ein und brachte sie zum Schweigen. Nach einem Einsatz ging er
mal mit so einem Kampfhund Gassi. So wie sonst mit Rico, seiner gutmütig-behäbigen
Rottweiler-Mischung. Roland und Rico passten gut zusammen.
Roland hat nie viel erzählt aus seiner Jugendzeit im Märkischen
Viertel. Er war kein Erzähltyp, und viel Lustiges gab es wohl auch
nicht zu berichten. Sein Vater starb, als er acht war. Roland konnte
gut lernen, brach das Abitur aber ab, um zur Polizei zu gehen. Die
Spezialtruppe war immer sein Ziel.
An Familie hatte Roland eigentlich nie gedacht. Das Thema erledigte er
meist mit einem Satz: „Bin schon viel zu alt für ein Kind.“ Dann
passierte es doch, und Roland war bald völlig aus dem Häuschen. Er
stellte sich mit Baby Kim vor den Spiegel und forderte Bestätigung
ein: „Sieht doch aus wie ich, oder?“. Um das Bild nicht zu stören,
wurden Kim die Haare stoppelig kurz gehalten. Als Roland zum
Geburtstag eine Tasse mit dem Aufdruck „Papa“ erhielt, zeigte er
das Kunstwerk überall herum. Papa. Nach diesem Wort wurde er süchtig.
Kim konnte noch nicht Papa sagen, also schenkte er ihr ein Handy mit
Papa-Abruftaste. Die drückte er dann immer. So lange, bis Vater und
Kind sich sattgehört hatten. Das Papa-Handy war sein letztes Geschenk
an Kim.
Am Nachmittag des 23. April sollte das SEK einen Mann, der mit der
Organisierten Kriminalität zu tun hatte, festnehmen. Ein alltäglicher,
tausendfach geübter Einsatz. Und doch ging er schief. Die Polizisten
wurden nach dem Aufbrechen der Wohnungstür sofort beschossen. Eine
Kugel traf Roland Krüger zwischen Helm und Schutzschild in den Kopf.
Als er im Koma lag, auf der Intensivstation kam Kim ihren Papa noch
einmal besuchen. Mit ihrem kleinen Finger piekte sie ihm ins Auge. So
wie sie es immer gemacht hat.
Quelle: Der Tagesspiegel 13.06.2003 Thomas Loy
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