Robert Steinhäuser, 19

 

Niemand hatte es ihm zugetraut. Unauffällig, höchstens als "schwieriger Typ" wurde er von seinem Umfeld gesehen. Und doch nahm Robert St., 19, gestern eine Tasche mit mehreren Waffen, einer Maske und einem schwarzen Umhang und ging in seine ehemalige Schule. Wenig später hatte Robert St. 18 Menschen getötet. Auch sich selbst.

"Eine große Leuchte war er nicht", sagt ein ehemaliger Mitschüler über Robert. In der siebenten Klasse kam er ans Gutenberg-Gymnasium, bewegte sich dort eher unauffällig. Aber er gehörte auch nicht zu denen, die sich völlig in sich zurück- zogen: "Er hatte eben nur nicht sehr viele Freunde."

Seine Leistungen waren wohl mittelmäßig, manchmal auch sehr mäßig. Schon in der elften Klasse stand er kurz davor, zurückgestuft zu werden. Im vergangenen Jahr flog er dann durchs Abitur. Das Thüringer Schulgesetz sieht eine einmalige Chance zur Wiederholung vor. Robert versuchte es, aber scheitete erneut. Vor einigen Monaten musste er die Schule verlassen. Unter anderem "wegen psychisch auffälligen Verhaltens".

Ohne Abschluss. Wer in Thüringen durchs Abitur fällt, bekommt nicht wie anderswo wenigstens einen Abschluss als Regelschüler.

Er wohnte im Haus seiner Eltern, nur zehn Minuten vom Gutenberg-Gymnasium in einer unauffälligen Seitenstraße. Die Fassade des Reihenhauses aus der Gründerzeit hat vor nicht all zu langer Zeit einen neuen Anstrich in warmem Gelbton erhalten. Roberts Wohnung war die unterm Dach.

Seit seinem neunten Lebensjahr hat er Handball gespielt. Beim SSV Erfurt Nord, im gleichen Sportverein wie sein älterer Bruder. Doch seit Monaten kam er nicht mehr zum Training. Von Sportfreunden wird er als ein "schwieriger Typ" eingeschätzt. Aber eigentlich will niemand etwas sagen. Zu tief sitzt der Schock über die Bluttat. Dass der Junge Amok läuft, "unvorstellbar". So lautet immer wieder die Antwort.

Auch den Nachbarn ist er kaum aufgefallen. Entsetzen gestern in der Seitenstraße mit den gepflegten dreistöckigen Reihenhäusern. Dass der Täter aus ihrem Umfeld kommt, merken die meisten der Menschen erst, als am Abend Kriminalpolizei und Bereitschaftspolizei die sonst so ruhige Gegend zum Sperrgebiet erklären. Kriminaltechniker aus Erfurt, Jena und Gotha rücken zur Spurensicherung an, später auch noch zwei Sprengstoffexperten. Was die Ermittler wirklich gefunden haben, darüber schweigen sie. Für umliegende Häuser und Bewohner soll aber keine Gefahr bestanden haben, hieß es.

Der Schütze soll in einem Erfurter Schützenverein Mitglied gewesen sein. Zumindest kommt einem Mitglied des Schützenvereins "Domblick" der Name bekannt vor, auch "das Alter könnte hinhauen". Aber überprüfen könne man das erst am Montag. Und bitte keine Namen nennen.

Es wäre eine Erklärung dafür, wie der Amok-Läufer an seine Waffen kam: Pump-Gun und Pistole. Zwar wird die Pump-Gun, eine Art Schrotflinte mit Nachladefunktion, eher mit organisierter Kriminalität in Verbindung gebracht, aber offenbar kann man sie sich auch als registrierter Schütze recht einfach besorgen. Man müsse nur Mitglied in einem Sportschützen- oder Jagdverein sein, sagt ein Experte. Oder den Nachweis  besitzen, dass man mit der Pump-Gun im Wettkampf schießt. Das sei nichts "Ungewöhnliches". 

Bewaffnet mit Pump-Gun und Pistole, vorbereitet auf die Verkleidung als schwarzer Krieger verließ Robert St. gestern am Vormittag die Wohnung.

Ein 19-Jähriger, eher schüchtern, etwas introvertiert. Aber ein Spinner sei er doch nicht gewesen, sagt eine Klassenkameradin.

Und doch hat Robert St. getötet. Brutal, gezielt, offenbar ohne Erregung. Die Schüsse trafen fast alle. Menschen, die er kannte.

Nach diesem Tag sei, sagte Innenstaatssekretär Manfred Scherer, "in Thüringen nichts mehr so wie vorher".

aus Thüringer Allgemeine vom 27.04.2002, von Peter Rathay und Kai Mudra

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