27.6.1993: Tod in Bad Kleinen
Das
mecklenburgische Bad Kleinen geriet blitzartig in die Schlagzeilen und
in der Folge der Rechtsstaat in eine Krise. Auf dem Bahnhof des 4.000
Seelennestes nahm die Antiterroreinheit des Bundesgrenzschutzes die 36-jährige
Birgit Hogefeld fest. Ihr Begleiter, der 40-jährige Wolfgang Grams, kam
durch einen aufgesetzten Schläfenschuss ums Leben, der 25 Jahre alte
GSG-9 Beamte Michael Newrzella erlag seinen Schussverletzungen.
Grams und Hogefeld wurden von den Fahndern zur so genannten
Kommandoebene der RAF gezählt. Am Abend desselben Tages erklärte der
damalige Generalbundesanwalt Alexander von Stahl, die beiden mutmaßlichen
Terroristen seien beim Verlassen der Gaststätte Waldeck auf dem
Bahnhofsvorplatz gestellt worden, Birgit Hogefeld habe den Schusswechsel
eröffnet.
Beide Aussagen stimmten nicht. Auch an den folgenden Tagen informierten
die beteiligten Behörden falsch oder gar nicht. Sie mauerten. Wurde da
etwa etwas vertuscht?
Ratlosigkeit
Die Medien witterten einen Skandal, Kabarettisten hatten ein neues
Dauerthema. Pannen bei der Spurensuche, Fahndungsfehler, schleppende
Ermittlungen und die Desinformationspolitik der Verantwortlichen - die
Öffentlichkeit war ratlos. Der damalige Bundesinnenminister Rudolf
Seiters nahm seinen Hut, der Generalbundesanwalt wurde entlassen.
Die Medien griffen das Thema auf. Am 1. Juli brachte die Fernsehsendung
"Monitor" eine Zeugin ins Gespräch, die gesehen haben wollte,
wie der mutmaßliche Terrorist Grams durch den aufgesetzten Nahschuss
eines GSG- 9 Beamten getroffen wurde.
Nur vier Tage später zitierte "Der Spiegel" einen anonymen
Zeugen, der einer Liquidierung des mutmaßlichen Terroristen durch GSG-9
Beamte das Wort redet. Wurde Grams hingerichtet und Newrzella
versehentlich von seinen eigenen Leuten erschossen?
Fehler und Fragen
Am 12. Juli, also gut zwei Wochen nach der Aktion in Bad Kleinen,
konstatierte der SPD-Politiker Hans Gottfried Bernrath nach einer
Sondersitzung des Innenausschusses des Bundestags: "Meiner Einschätzung
nach hat die Sitzung nichts Wesentliches Neues gebracht, so dass uns
nach wie vor kein Urteil darüber möglich ist, wie war der tatsächliche
Ablauf, wie hat der Vorlauf für den Zugriff ausgesehen, und wir haben
keinen Aufschluss bekommen, welche Verantwortlichkeiten es für den
Schuss auf Grams gibt."
Am 18. August gaben der neu eingesetzte Innenminister Manfred Kanther
und Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberg auf einer
Pressekonferenz einen Zwischenbericht zum Ermittlungsstand. Die
Todesumstände von Grams seien noch nicht abschließend geklärt, man
sei aber sicher, dass Grams den Polizisten Newrzella erschossen habe.
Kanther räumte allerdings auch Mängel in der Informationsweitergabe
und insbesondere Fehler des Bundeskriminalamtes ein: "Hier zeigen
sich Informationsdefizite im Umgang der Behörden miteinander und
insbesondere auch innerhalb des BKA. Die Schlüsselfrage, warum der
Informationsfluss zu den Fragen Zeugenaussage Nahschuss und
Obduktionsergebnis aufgesetzter Schuss, warum diese beiden Daten nicht
sofort an die Führung des BKA weitergegeben wurde, hier hat die
Information eindeutig nicht geklappt."
Was bleibt
Die Schweriner Staatsanwaltschaft kam im Januar 1994 nach der Auswertung
von 1.800 Seiten mit 142 Zeugenaussagen und mehreren Gutachten zu dem
Ergebnis, dass der mutmaßliche Terrorist Wolfgang Grams sich den tödlichen
Kopfschuss selbst gesetzt hat. Den bei dem Einsatz beteiligten Beamten
wurde allerdings insgesamt "Kopflosigkeit" bescheinigt. Ein
vernichtendes Urteil für die Truppe mit dem Mogadischu-Mythos. Bad
Kleinen hatte viele Folgen. Es bleibt ein Nachgeschmack.
Autor: Carola Hoßfeld
aus: www.kalenderblatt.de
Chronologie des Ereignisses |